Der Niedergang des mächtigsten und auch gefährlichsten Systems, das die Weltgeschichte je erlebt hat

Tomasz Konicz Dieser "Transformationskampf" hat ja offensichtlich in der kollabierenden Peripherie des kapitalistischen Weltsystems schon mit unglaublicher Brutalität eingesetzt. Glauben Sie, dass man in den Zentren und in der Peripherie diesen Absturz in Barbarei wird verhindern können? Können wir einen demokratischen und zivilisierten Transformationsprozess organisieren? Oder, anders gefragt: Der real existierende Sozialismus ist ja relativ friedlich implodiert, ohne die Welt in ein Flammenmeer zu tauchen - kann dies der real existierende Kapitalismus ebenfalls leisten?

Fabian Scheidler: Man kann den Untergang des Realsozialismus nicht mit dem Niedergang des kapitalistischen Weltsystems vergleichen. Denn der Ostblock war ja - zumindest in den letzten Jahrzehnten seiner Existenz - in mancher Hinsicht Teil dieses Systems, auch wenn viele das bis heute nicht wahrhaben wollen. Und er ist einigermaßen kontrolliert abgewickelt worden, mithilfe der Leute auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, die auf diese Gelegenheit nur gewartet haben. Es gab ja ein funktionierendes größeres System, das den Osten einfach schlucken konnte.

Was wir jetzt vor uns haben, ist von ganz anderen Dimensionen, es ist der Niedergang des mächtigsten und auch gefährlichsten Systems, das die Weltgeschichte je erlebt hat. Es ist weltumspannend. Und es gibt kein Ersatzsystem. Ich glaube nicht, dass ein gelenkter, geplanter, kontrollierter Übergang zu etwas anderem möglich ist. Wer sollte das steuern? Und wohin? Ohne größere Brüche und ohne chaotische Phasen wird es nicht gehen.

Die Frage ist, wer in diesem Chaos die Oberhand gewinnt. Die jetzigen Eliten werden mit allen Mitteln dafür kämpfen, ihre Privilegien und ihre Macht zu erhalten. Sie werden langfristig auch nicht davor zurückschrecken, mit ultrarechten Kräften zusammenzuarbeiten, das tun sie ja teilweise schon heute. Wenn wir passiv bleiben und einfach abwarten, was kommt, werden sie leichtes Spiel haben. Aber wenn eine kritische Menge von Menschen beginnt, sich einzumischen und sich für eine gerechtere, menschenwürdigere Welt zu organisieren, dann haben wir eine Chance.

Das Problem ist, dass wir die Selbstorganisation großenteils verlernt haben. Wir erwarten, dass der Strom aus der Steckdose kommt, dass uns irgendjemand einen Job gibt, dass Politiker unsere Interessen vertreten, wenn wir alle vier Jahre ein Kreuzchen machen - eigentlich eine sehr merkwürdige Vorstellung. Aber damit werden wir auf Dauer nicht weiter kommen. Wir müssen unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen, und das kann eben auch anstrengend sein.

Fabian Scheidler, geboren 1968, studierte Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin und Theaterregie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/M. Seit 2001 arbeitet er als freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen, Theater und Oper. 2009 gründete er mit David Goeßmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV, das regelmäßig Sendungen zu Fragen globaler Gerechtigkeit produziert. 2009 Otto-Brenner-Medienpreis für kritischen Journalismus. Programmkoordinator für das Attac-Bankentribunal in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (2010). 2015 erschien sein Buch "Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation", das die Wurzeln der Zerstörungskräfte freilegen will, die heute die menschliche Zukunft bedrohen.


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Und passend dazu: HF schreibt über Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes!
Füchse lesen - das macht schlau

 

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