Verzahnung von Militärstaat und Geldverwertungslogik

Tomasz Konicz Ich fand den langfristigen Ansatz ihres Buches interessant. Sie versuchen, die Genese des gegenwärtigen Systems über einen langen historischen Zeitraum zurückzuverfolgen. Wie weit reichen Ihrer Ansicht nach die "Ursprünge" der "Megamaschine"?

Fabian Scheidler: Die Ursprünge der kapitalistischen Weltwirtschaft reichen bis ins Spätmittelalter zurück. Eine der Keimzellen waren die hoch militarisierten Stadtstaaten Genua und Venedig, die sich damals zu Handelsimperien entwickelten, die von Spanien bis zur Krim reichten. Einen erheblichen Teil ihres Reichtums ging auf Raubzüge zurück. Genua und Venedig etwa finanzierten viele der Kreuzzüge, einschließlich ihrer Massaker, und bekamen dafür als Rendite einen Teil der Beute, Monopole und Militärstützpunkte. Die Handelshäuser gründeten dann Banken, die etwas von diesem erbeuteten Reichtum verliehen, nicht nur an andere Händler sondern auch an Staaten.

Es gibt ja den hartnäckigen Mythos, dass Staat und Markt Gegenspieler seien, dass sich der Kapitalismus aus dem Pioniergeist freier und friedlicher Händler entwickelt hätte, jenseits staatlicher Despotie. Aber Kapital und moderner Staat waren von Anfang an eng verflochten, sie haben sich gemeinsam, ko-evolutionär entwickelt und konnten niemals ohne einander auskommen. Die Kapitalbesitzer brauchten die physische Macht des Staates für ihre gewaltsame Expansion und auch für das Niederschlagen von Widerstand in der Bevölkerung gegen die zunehmende Ausbeutung, der von Anfang an massiv war. Und die Staaten brauchten das Handels- und Finanzkapital, um ihre Söldnerarmeen zu finanzieren.

Der moderne Staat war ja vor allem ein Militär- und Repressionsapparat, und es brauchte enorm viel Geld, um die neuen Armeen mit Hunderttausenden von Soldaten und großen Kanonen aufzubauen, mit denen man die Welt erobern konnte. Diese Verzahnung von Militärstaat und Geldverwertungslogik hat dann die ungeheure Aggressivität des Systems hervorgebracht, die sich durch die gesamte Geschichte der letzten 500 Jahre zieht.

Die Conquista, die gewaltsame Eroberung Mittel- und Südamerikas, etwa wurde von den Banken in Genua, Augsburg und Antwerpen finanziert. Ihr "return on investment" waren die ungeheuren Gold- und Silbermengen, die dort erbeutet wurden und wiederum die europäische Geldökonomie antrieben. Für die Indigenen Amerikas war das Ergebnis der größte Völkermord, den die menschliche Geschichte bis dahin erlebt hatte. Oft waren staatliche und ökonomische Gewalt in denselben Händen konzentriert, zum Beispiel in den frühen Aktiengesellschaften, die über eigene Armeen, ja eine Art eigenen Staatsapparat verfügten und auf den Trümmern der von ihnen eroberten Regionen die modernen Kolonialreiche aufbauten.

Tomasz Konicz Sie gehen ja mitunter noch weiter zurück, bis in das frühe Altertum, um die Entstehung von Macht und Herrschaft darzustellen. Worin besteht den Ihrer Ansicht nach der fundamentale, qualitative Bruch zwischen dem Kapitalismus und den vorherigen Gesellschaftsformationen, dem Altertum oder dem Mittelalter?

Fabian Scheidler Es gab in der Antike auch schon Marksysteme, die eng mit dem militarisierten Staat zusammenhingen. Eine wichtige Rolle hat dabei die Erfindung des Münzgeldes gespielt, das erstmals dauerhafte, große Söldnerheere ermöglichte und zu einer enormen Kommerzialisierung des Mittelmeerraums geführt hat. Ohne diese Erfindung wäre zum Beispiel das Römische Reich mit seinen riesigen Armeen nicht denkbar gewesen.

Trotzdem unterscheidet sich das moderne Weltsystem in einigen wesentlichen Punkten davon. In der Megamaschine hat sich die Kapitalakkumulation verselbständigt, automatisiert, sie ist zur Institution mit einer Eigenlogik geworden. In Rom gab es zwar auch eine enorme Anhäufung von Reichtum in den Händen Weniger, aber es gab so etwas wie einen stabilen Endpunkt, eine maximale Ausdehnung sowohl des Reichs als auch des Reichtums. Die Stabilität dieses Zustands war oberste politische Priorität. Die Megamaschine aber verlangt nach endloser Expansion, endlosem Wachstum.

Einer der Gründe dafür ist, dass das Verhältnis von Staat und privatem Kapital anders ist. Vereinfacht ausgedrückt konnte der Staat in Rom die Ökonomie autoritär kontrollieren, während in der Moderne die international organisierten Kapitalbesitzer von Anfang an die einzelnen Nationalstaaten vor sich her getrieben haben, in eine irrsinnige Standortkonkurrenz und auch militärische Konkurrenz, was wiederum die Akkumulation enorm angeheizt hat.

Eine Besonderheit der Megamaschine ist auch, dass sie irgendwann begonnen hat, ganz neue Energiequellen zu erschließen, nämlich Kohle und später Öl. Das hat ihr überhaupt die technischen Mittel gegeben, den ganzen Planeten zu beherrschen - und uns das Klimadesaster zu bescheren.

Warum aber ausgerechnet in England ab dem 18. Jahrhundert plötzlich Steinkohle verbrannt wurde, die ja seit der Antike bekannt war, kann man nur aus der Eigendynamik des Systems verstehen. Die Produktion, insbesondere die Metall- und Rüstungsproduktion, stieß damals an energetische Grenzen, die Holzkohle wurde knapp und teuer, und deshalb wurde fieberhaft nach neuen Energiequellen gesucht, um weiter akkumulieren und neue Kanonen bauen zu können. Die Kohle war dafür die Lösung.
Die Eigenlogik der Institutionen ist mächtiger als ihre vermeintlichen Steuermänner

Copyright 2000 - 2024 Foxxblog.com