Die Große Transformation hat gerade erst angefangen

Tomasz Konicz Journalist interviewt den Autor F. Scheidler http://www.heise.de/tp/artikel/45/45727/1.html 18.08.2015
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Fabian Scheidler - Autor - im Interview über die Schranken des kapitalistischen Weltsystems und Niedergang des mächtigsten und auch gefährlichsten Systems, das die Weltgeschichte je erlebt hat. Dabei bestreicht er an die 500 Jahre Weltgeschichte. Wie 120 Jahre vor ihm Oswald Spengler sieht es für unser westliches Kulturmodell nicht rosig aus. Und dem aufmerksamen Zeitgenossen heute beschleichen Ahnungen vom Untergang unserer "westlichen Werte" Kultur.

Tomasz Konicz Sie verwenden in ihrem Buch für das gegenwärtige kapitalistische Weltsystem das Bild einer riesigen, weltumspannenden Maschine, der titelgebenden Megamaschine. Können Sie diesen Begriff etwas erläutern? Zielt er auf technische Aspekte ab, oder ist es ein Herrschaftsbegriff?

Fabian Scheidler: Megamaschine ist eine Metapher für ein ökonomisches, politisches, militärisches und ideologisches System, das vor etwa 500 Jahren in Europa entstanden ist und sich seither um den ganzen Globus verbreitet hat. Wir wachsen mit dem Mythos auf, dass Europa der Ausgangspunkt von allem Fortschritt ist, dass wir der Welt die Wissenschaft, die Freiheit, die Demokratie, den Wohlstand, die Zivilisation und so weiter gebracht hätten. In meinem Buch geht es ein Stück weit darum, diesen Mythos zu demontieren und zu zeigen, dass die Expansion der Megamaschine von Anfang an mit extremer Gewalt, Ungleichheit und Naturzerstörung verbunden war, und dass viele unserer heutigen globalen Krisen genau aus dieser Dynamik entspringen.

Dieses System ist unter verschiedenen Namen bekannt - kapitalistische Weltwirtschaft, modernes Weltsystem, die "Moderne" usw. Ich benutze die Metapher einer Maschine, weil dieses System teilweise wie eine Maschine zu funktionieren scheint, wenn man sich etwa die internationale Arbeitsteilung anschaut, das Finanzsystem, die globale Energieversorgung, Medien- oder Militärapparate, die ja alle eng miteinander verflochten sind.

Der Kern dieses Systems, sein übergeordnetes Gesetz, ist die endlose Akkumulation von Kapital. Das ist sein Hauptzweck, dem alles andere untergeordnet wird. Mensch und Natur werden dafür benutzt, aus Geld mehr Geld zu machen, und deswegen werden wir tendenziell zu Maschinenrädchen in diesem Getriebe degradiert.

Natürlich darf man die Metapher nicht zu wörtlich nehmen, denn letztlich besteht das System aus Menschen, die sich zwar teilweise wie Maschinenteile verhalten, aber trotzdem nicht aufhören, menschliche Wesen zu sein. Die meisten Lebensbereiche sind zwar von der Macht der Maschine infiziert, aber wir haben auch Freiheiten, ein Leben jenseits der Maschine, und das gilt es zu verteidigen und zu erweitern.

Tomasz Konicz Sind Sie da nicht etwas zu optimistisch? Mir scheint es eher, dass die letzten nichtkapitalistischen Nischen, die letzten Freiräume gerade in der Krise verschwinden. Alles scheint der Verwertungslogik unterworfen zu werden, selbst die Subkultur. Wo sehen sie noch ein "Leben jenseits der Maschine"?

Fabian Scheidler: Der Druck, die Kommerzialisierung, die Ausbeutung, all das nimmt tatsächlich zu. Aber das bleibt auf Dauer nicht ohne Reaktion. Die Geschichte verläuft nicht linear. Schauen Sie nach Südeuropa, da gibt es enormen Aufruhr, neue Subkulturen. Auch in den USA übrigens.

Der Widerstand, der Wille zur Freiheit beginnt ja im Kopf. Und wir können beobachten, wie der Glaube an das System langsam bröckelt, ja teilweise in sich zusammenbricht. Der Lack ist ab, die Leute sehen zunehmend die Gewalt und auch die Sinnlosigkeit dahinter. Damit schwindet ein Stück weit die ideologische Macht, die ja ein wichtiger Teil der Herrschaft ist. Wo das hingeht, ist vollkommen ungewiss, aber die Risse im System werden immer deutlicher.

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